Vortrag Wolfgang L’Hoest 2005

Ausstellung Haus Spiess
Erkelenz 14.1.2005

Es gibt „visuelle Texte“, die leicht zu „lesen“, einfach zu verstehen sind. Als ein Exempel sei Claude Monets „Die Kathedrale von Rouen“, in der Aufbruchzeit der Avantgarde zum 20. Jahrhundert 1893 entstanden, genannt. Der Maler sucht hier nach einem geeigneten Mittel, mit dem eine flüchtige Impression auf der Leinwand festgehalten werden kann – alles Augenscheinlich und jedem problemlos verständlich, der eine geschärfte optische Sensibilität für Lichtstimmungen einbringt.
So einfach wie die Bilder von Impressionisten sind manche Arbeiten von Marlene Dammers aber nicht zu verstehen! Als ein Beispiel für die zuweilen schwierige Decodierung von Bildnachrichten der Künstlerin sei hier eine „Bild-Geschichte“, bezogen auf die neunteilige Foto-Übermalung, welche, leider nicht ganz farbwahr, die Einladung zu dieser Ausstellung illustriert, erzählt:

gepard32002 übermalt die Artistin in Situ ein übermannshohes Plakat, welches sie vorher auf eine Litfaßsäule geklebt hatte. Nach der Verwandlung des planen Rasterfarbdruckes in eine Bildsäule beginnt der Angriff auf das narrative Medium. Das monumentale Farbposter wird in einem Actionpaintingakt umschritten und partiell bemalt oder auch übermalt. Weit ausgreifende, kraftvolle Gesten überlagern dabei das penetrant Abbildhafte und schaffen dadurch ein starkes, bildimmanentes Spannungsgefüge zwischen Kompartimenten mit hoher Ikonizität (den Fotodetails) und den nur noch indexikalisch funktionierenden, dynamisch und temperamentvoll gesetzten Punkt-, Fleck- und Strichsetzungen.
Aber eigenartig: Obwohl hier das ganz Subjektiv-Gestische dem Objekt-Mimetischen scharf den Kampf ansagt, anverwandelt die Macht des Narrativen den abstrakten Gestus derart, daß wir, wenn auch nur als Ahnung, darin Gegenständliches im Sinne von Abbild zu sehen glauben.

Neben dieser „Hommage à Arnulf Rainer“ findet noch eine weitere, der Künstlerin wichtige (!) Metamorphose statt. Der Vorwurf zu dieser Arbeit war eine Seite im „Stern“, auf welcher der VW-Konzern für eines seiner Automobile warb. Im blow-up-Verfahren wurde dieses Werbebild im Rasterdruck auf das Format einer Plakatwand gebracht, um so der Künstlerin als Malgrund zu dienen. Aber warum dieser relativ große Aufwand?

gepardWerbebotschaften haben immer suggestive Signalfunktion. Solche Verführungsakte funk-tionieren, indem geheime, im Unterbewußtsein schlummernde Wünsche geweckt werden – hier etwa die nach Schnelligkeit gepaart mit Eleganz – und die Befriedigung solcher Sehnsüchte auf das Produkt gelenkt werden. Nach der artifiziellen Bearbeitung aber kann das Propagandabild seinen auslösenden Charakter nicht mehr entfalten, indem es nun nur noch Träger einer human-ästhetischen Nachricht wird!

Aber: dieser engagiert geführte Kampf ist völlig hoffnungslos im Angesicht einer zuweilen auch hochästhetischen Bilderflut, von Psychologen und Graphikern raffiniert inszeniert, welche über alle verfügbaren Medienkanäle millionenfach (!) verbreitet wird. Was aber dennoch bleibt, ist als sinnstiftender Gestus bedeutungsvoll, wenn auch den erfolglosen Bemühungen eines Sisyphos nicht unähnlich.

Nun noch ganz kurz die beiden letzten Akte der „Histoire d’Affiche“: Als die Mietzeit für die Litfaßsäule abgelaufen war, lösten Wolfgang, Marlene und ich mittels eines Spatens das zentime-terdicke Plakatschichtenpaket vom Untergrund ab. Nach einer Zwischenlagerung wurde schließlich die Pappmachérolle erneut auf der Werbesäule angebracht und blieb dort ein Jahr lang Wind, Regen und Sonne ausgesetzt. Als ein Beispiel für die nicht von der Künstlerin direkt her-beigeführte, sondern nur initiierte Metamorphose sei auf zu Farbkrusten aufgequollenen Malerei-details hingewiesen. Das nun nach dem Prinzip Zufall finalierte Rollbild sehen Sie hier als Montage von sechs Ausschnitten daraus.

Aber das OEuvre der Mönchengladbacherin ist nicht auf das einer Ikonoklastin beschränkt. Lassen Sie mich das kurz an wenigen Beispielen erläutern. In einer Vitrine ist eine Arbeit zu sehen, in der sich die Objekt-Gestalterin äußerst kritisch mit den furchtbaren Folgeerscheinungen von Massentierhaltung auseinandersetzt.

Neben diesen pragmatisch bedeutungsvoll Werken zeigt die Ausstellung aber andere Hervorbringungen, welche für das durchaus auch vom l’art pour l’art-Denken und -Handeln geprägte Schaffen stehen.
Viele der Aktbildnisse gleichen, ganzheitlich betrachtet, akademischen Studien innert dieses Genres; Strich-Setzung folgt hier zuweilen im Sinne anatomische Korrektheit den Körperformen. Aber zugleich findet auch fast immer der, für das Dammers’sche bildnerische Schaffen signifikante, energische Angriff des Handschriftengestus auf das Mimetische statt.

0412„Roter Vogel vor ockerfarbigem Akt“ ist ein Prototyp im Opus der Mönchengladbacherin. Ein wild bewegter Rhythmus, gebildet aus kraftvoll-derben Strichsetzungen, strukturiert die Bild-Fläche. Der seismographische Niederschlag der aus dem inneren Verfaßtsein stammenden Erregung ist so heftig, daß das Gegenständliche sich unter diesem energischen Angriff aufzulösen scheint. Aber nur selten wird dieser aggressive Akt so gesteigert, daß das Abbildhafte im Malrausch untergeht. Dies wäre dann ja auch nicht mehr der generellen Programmatik entsprechend, da in solchem Falle ja das stets/meist(?) angestrebte dialektische Verhältnis von abstrakt-gestischer Zeichen-Setzung und Naturstudie verlorenginge.

Auch in der Chromatik leuchtet oft dieses Verliebtsein in Dramatik auf, wenn wie in unserem vorgenannten Beispiel warme Rosa-, Rot- und Rotbrauntöne im heftigen Temperaturkontrast zu eisigem Blaugrün und Türkis stehen. Aber durch eine Quantitäts- und Qualitätsführerschaft der warmen Farbtöne manifestiert die Malerin, daß sie stärksten Kontrast bejaht, Kakophonie aber stets zu vermeiden weiß. Durch dieses „Wandeln auf einem schmalen Grat der Chromatik-Orchestration“ entsteht eine bildimmanente Bündigkeit, insoweit nun Duktus und Farbigkeit dem gleichen bildnerischen Prinzip folgen.
Gegenständliches in Erregungsniederschrift umzuwandeln ist auch Thematik einer Arbeit mit dem Titel „Rotes Bild“, entstanden bei einem der wiederholten Studienaufenthalte in der Europäischen Akademie für Kunst in Trier. Das Mimetische einer „Stilleben“-Installation mit Besen, Tuchdraperien, Holzkiste und Netzwerk wird so lange mit kurzkrakeligen, nervösen Gesten überlagert, bis endlich das „Große Abstrakte“ (Zitat W. Haffmann) obsiegt.
„Ist dies nun das Finale einer Entwicklungslinie ‚weg vom Gegenständlichen‘?“ frage ich die Künstlerin. „Nein,“ antwortet diese, „denn diesen Kampf nehme ich, ohne den Ausgang jeweils genau zu kennen, immer wieder auf.“

Wolfgang L’Hoest im Januar 2005