Vortrag Dr. Angela Wilms-Adrians

Ausstellungseröffnung 6.3.1998
Sandbauernhof Liedberg, Korschenbroich

Akt und Stilleben sind die Themen dieser Ausstellung. Zeitlos in der bildenden Kunst, haben sie schon Generationen von Künstlern angeregt und bergen sicherlich noch reichlich Nahrung für zukünftige Gestaltungsformen.

Die Motivwahl sagt sicherlich auch etwas über die Interessen eines Künstlers bzw. einer Künstlerin aus, doch oft ist sie nur Anlaß, um sich über Komposition und Farbe mitzuteilen. Die Aufarbeitung offenbart dabei auch immer ein Stück Persönlichkeit des Gestaltenden, und die in Rheydt lebende Marlene Dammers gehört als Malerin sicher zu den temperamentvollen Vertreterinnen. Schon beim ersten Umsehen werden Sie bemerkt haben, daß Sie hier keine abgezirkelte Schönmalerei, keine akribische Handschrift finden, sondern den Ausdruck eines energischen Duktus‘. Sie sehen hier eine Auslese des vergangenen Jahres sowie zwei Bilder von 1998.

Seit vier Jahren beschäftigt sich Marlene Dammers mit der Aktmalerei, die inzwischen ein wesentliches Standbein in ihrem Schaffen ist. Zunächst näherte sie sich ihr in kleineren Arbeiten über das Aquarell, doch allmählich wurde das gewählte Format immer größer, lösten die Acrylfarben im wesentlichen die Aquarellfarben ab.
Das Thema Porträt zeigte schon vorher die Faszination am Menschen, doch bald überwog der Wunsch, den ganzen Menschen darzustellen, wobei in der Aktmalerei die Gestaltung der Gesichtszüge kein Thema mehr ist.
Neben der Aktmalerei entwickelte sie zusehends das Stilleben für sich als eine Umsetzung der nächsten Umgebung. Die Instrumentenbilder wurden sicherlich nicht zuletzt durch die musische Begabung ihres Sohnes angeregt.

Bevor Marlene Dammers ein großformatiges Bild anlegt, hat sie einen Plan, macht sie kleine Skizzen mit schnellen und entschiedenen Strichen. Zuweilen hält die Planung bis zum Schluß. Doch ihrem malerischen Temperament entsprechend, läßt sie sich während der Gestaltung auf ein Wechselspiel von Planung und aus dem Bauch lebender Intuition ein. In diesem Prozeß arbeitet sie in vielen Schichten, die natürlich ein eigenes Spiel der Farben bewirken.
Aus dieser Gestaltungsweise ergibt sich denn auch das Wechselspiel zwischen Gegenstand und Abstraktion. Die beiden neuesten Arbeiten haben sich in ihrer Verfremdung ganz vom Gegenständlichen gelöst, pulsieren im lebendigen Gestus und transportieren über Farbe und Duktus Bewegung und Emotionen.

Die menschliche Figur tritt in Marlene Dammers‘ Figuren ganz unterschiedlich auf: als zentrales Thema oder als bewußt unbetontes Bildelement, in ihrer Körperlichkeit modelliert sowie flächig und stark abstrahiert. Die Bilder haben keinen Titel und treten dem Betrachter so vorurteilsfrei entgegen.
Im Diptychon mit dem Paar schaffen die Linien des Ambientes einen Raum, der aber nur angedeutet ist. Wesentlich sind die Figuren – fast klassisch und doch schnell aufgefaßt. Spannend sind die Gegenpole: Sie als Rückenfigur fast ganzfigurig gezeigt. Er als Halbfigur ist im 3/4-Profil zu sehen, doch seine Züge verschwinden scheinbar im Licht. In der Gestaltung seines Oberkörpers sind Männlichkeit und Körperlichkeit betont, während das bei ihr auf den Rücken fallende Licht Körperlichkeit zurücknimmt.

Extrem an den Betrachter gerückt ist die Dame auf dem Badetuch, deren Position als massive Diagonale ins Bild zieht. Die eigenwilligen Farbbeigaben im Körper ergeben sich durch die Untermalung. Das komplementäre Grün erhöht die Radikalität des roten Grundes.
In manchen Arbeiten konzentriert sich das Rot signalhaft und ganz auf eine Figur.

Wie Sie sehen, ist Rot als Farbe der Vitalität, Kraft und Aggressivität stark vertreten und durchzuckt oft andersfarbige Zonen. Wenn Marlene Dammers auf Rot verzichtet, belebt sie über Kontraste und den Duktus.
Als Frau konzentriert sich Marlene Dammers stärker auf den weiblichen Akt als auf den männlichen. Doch radikal wie zuweilen ihre Bildsprache, ist die plakative Umsetzung eines männlichen Aktes in ein extremes Bildformat.
Der Akt beherrscht das Zentrum der Komposition, ist mit Licht und Schatten gestaltet und vital von Rottönen durchzogen. Das Umfeld ist demonstrativ vernachlässigt als dunkler und geheimnisvoller Raum. Ein Element der Staffelung ist der helle, liegende Akt in dem Bild, das am unteren Rand zwei Schuhe zeigt. (Der Schuh – lang getragen, abgenutzt, fast lebendig wirkend – ist übrigens häufig zu finden, wie nebenbei und als Hauptmotiv.) Der Akt ist nicht wie üblich im Bildzentrum, sondern über die Komposition an den Rand gerückt. Als ein Element im losen Wechsel dunkler und heller Bildpartien verlieren sich zudem seine Konturen nach oben hin, lassen ein Verwischen zwischen Körper und Umfeld zu.

Die Rezeption bekannter Kunstwerke schwingt zuweilen mit – so im Umgang mit der Flächigkeit scheinbar collagierter Textilien, die an den späten Matisse denken lassen. Die wie Stoffe wirkenden Elemente eines Bildes entwickeln ein verwirrendes Spiel von Fläche und Tiefe gegen die Figur.
Stark auf die Fläche bezogen ist eine schräg gelegte Figur, offensichtlich im raschen Gestus entwickelt als Gegenpol zu länger währenden Arbeiten. Der frontal gegebene, angeschnittene Oberkörper eines anderen Bildes ist nur noch eine Partie zwischen Textilien, die mehr Räumlichkeit entwickeln als er. Das extreme Querformat gleicht einem Fries, auf dem die Figuren nur noch als Rapport erscheinen.

In den abstrakteren Auffassungen ist das Motiv zusehends nur noch Anlaß für den Aufbau, ist Mittel zur formalen Spielerei. In dem Bild mit dem Sonnenschirm ist der ursprünglich gemalte Akt sogar in der Endfassung unter übergelegten Farbschichten verschwunden. Die Darstellung ist einem Raumbild gewichen, das im wesentlichen über Farbe sowie den Umgang mit Licht und Schatten, aber nicht über perspektivische Linien Tiefe und Nähe suggeriert.

An den wenigen Beispielen ist ablesbar, wie Marlene Dammers mit Figur und Raum, Fläche und Tiefe jongliert und dabei wechselnde Schwerpunkte setzt.
Der lebendige Gestus, erhöht durch die Spontaneität in den Farbschichten und teilweise auch durch eingekratzte Strukturen, prägt ebenso die meisten Stilleben.
Als Entwurf klebt die Künstlerin ab und an eine Collage, die sie später abmalt. So beim Stilleben mit dem Fisch, in dem die collagenhafte Fläche und die über Blauweißschattierungen erreichte Plastizität des Fisches konkurrieren.
Lebendig und prall wirkt die überdimensionierte Paprika im leuchtenden Rot gegen kräftiges Grün. Leuchtend setzen sich die Milchtüten vom farbliche verfremdeten Kuhfell ab. Die demontrative Erhöhung des Alltäglichen lenkt den Blick auf allzu Gewohntes, beweist den Blick für dessen meist verborgene „Dramatik“ und Sinn für Witz.

Fasziniert von Instrumenten und der Jazz-Musik schuf Marlene Dammers eine Serie von Trompetenbildern, bei denen sie manchmal die Perspektive bewußt auf den Kopf stellte. Die teilweise expressiven Farben, das Gegenspiel von Hell und Dunkel verbinden sich mit dem spontanen Duktus zu großer Lebendigkeit.
Nach den vielen Trompeten-Porträts malte Marlene Dammers zwei Querformate mit bespielten Instrumenten – rasch und impulsiv aus dem Kopf. Das intensiv leuchtende Gelb – fast ungemischt – im Verbund mit Rot oder gar dem Komplementärkontrast Rot/Grün unterstreicht den schon kompositionell bewegt anmutenden Rhythmus.

Aktmalerei und Stilleben gemeinsam sind die Freude an kräftigen Farben, das Nebeneinander ausgestalteter und rascher Züge und ein eigenwilliges Spiel von Raum und Fläche sowie eine unterschiedliche Gewichtung von Gegenstand und Abstraktion. Der Duktus ist impulsiv und nicht zuletzt der häufige Gebrauch von Rot unterstreicht die Vitalität in den Bildern.

6.3.1998
Dr. Angela Wilms-Adrians