Vortrag Wolfgang L’Hoest 1998

Ausstellungseröffnung am 11. September 1998
MAVIS Produzentengalerie Düsseldorf

Auf Ihrer Einladung steht unter dem Rubrum „Was noch?“: Vortrag Wolfgang L’Hoest; das will ich Ihnen nun aber doch nicht antun! Da ich aber versprochen habe, zu dieser Ausstellungseröffnung zu sprechen, will ich mit einigen Anmerkungen zum Oeuvre von Marlene Dammers helfen, den sehr weit gespannten Bogen der Kunstäußerungen verstehen zu lernen.

Akt auf grünen Kissen  - 1996 - Acryl auf Leinwand 96 x 83Weitgespannt ist das Farbspektrum. Da gibt es Temperaturkontraste, wie zum Beispiel im großen roten Aktbild einer liegenden Frau, in dem die Farben Rot und Blaugrün sowie Gelb und Türkis heftigste Farbkontraste bilden. Nur durch die sparsame Dämpfung des leuchtenden Rots und mittels der die Farbflächen am direkten Zusammenprall hindernden Konturstriche wird hier das Abgleiten ins Grellbunte so gerade noch vermieden.
 
Dies sind Bilder, in denen die Suggestivkraft des Kolorits, gesteigert durch einen oft großflächigen Auftrag, hohe Intensität erreicht. Diese Art Bilder erinnern mich an einen Ausspruch André Derains, der über die Fauves sagt: „Es war ein Aufstand des Farbgefühls und eine Reaktion gegen alles, was . . . <aus dem Leben gegriffenen> ähnelte.“

Neben diesen Farbexaltationen gibt es aber auch weniger heftige Farborchestrationen, wie zum Beispiel in „Schirm“ aus 1995, wo die Kontraste dadurch beruhigt werden, daß die verwendeten Leucht-Farben nur einer Seite, dem „Warmen“ des Farbkreises entlehnt sind.
Schließlich werden die Farbphantasien im Sinne einer absteigenden Heftigkeit durch Koloritgedanken abgerundet, wie er beispielsweise in der Komposition mit drei Frauenbildnissen auftaucht. Hier werden die Kaltwarmkontraste durch Brechen, die Rottöne mittels Schwarz und Weiß, die sparsam eingesetzten Blaus durch Übermalen, in den Grenzbereich zum Farbmelodisch-Monochromen hinübergeführt; hier bestimmen mehr die starken Helldunkelkontraste als die Chromatikleuchtkraft die Farbdynamik.
Der weitgespannte Bogen, von dem eingangs die Rede war, endet vorläufig (?) bei den neuesten Arbeiten, entstanden im Sommer diesen Jahres, die von einem völligen Verzicht auf Farbe – Schwarz und Weiß sind keine Farben! – geprägt sind.
 
  Ohne Titel  - 1998 - Acryl und Ölstift auf Leinwand 87 x 75Ohne Figur  - 1998 - Mischtechnik auf Leinwand 75 x 92 Pirouette  - 1998 - Acryl und Ölstift auf Leinwand 105 x 71
Hier, am Ende der Notizen über die Farbe könnte Ihnen, dem kunsthistorisch gebildeten Publikum, vielleicht der kritische Gedanke aufkommen, daß es dies doch in den ersten Jahrzehnten unseres jetzt zu Ende gehenden Jahrhunderts alles schon einmal so ähnlich gegeben hätte: bei den Fauves und Expressionisten. Das wäre richtig, wenn dem nicht die Tatsache entgegenstünde, daß Marlene Dammers die außerbildnerisch gesehenen Fakten durch ihr ganz subjektives Filter ureigener Gefühlskraft preßt, das Bild hier, trotz aller grundsätzlichen Vorwegnahmen, jedesmal zu einer hinlänglich originären Schöpfung werden läßt, zumal auch jeder kopistischen Tendenz entsagt wird.
Soviel zur Farbe – soviel, weil die Farbe das primäre bildnerische Element ist -; und nun einiges zum Bildaufbau:

Generell tendieren die Kompositionen zum Einfachen, Klargegliederten hin. Hier gibt es keine vielschichtig – raffinierten Überlagerungen verschiedener Strukturierungsgedanken.
Da sehen wir zuweilen, wie in den beiden, in der Ausstellung gegenübergehängten Frauenakten, das Gliederungsprinzip mittels fallender Diagonale, die der Ausrichtung der Körperachse folgt. Aber: es gibt keinen Spannungsaufbau bei den Kompositionen, wo nicht auch der Gedanke an die bildnerische Einheit mit berücksichtigt wurde.

Akt mit angewinkeltem Bein  - 1997 - Acryl auf Leinwand 96 x 83So werden zum Beispiel beim rot und gelb- ockrig gehaltenen Frauenakt aus 1997 durch das Abwinkeln des linken Beines und mittels des partiell rot und orange gefärbten Schlittens der „Grund“ an die „Figur“ gebunden.
Neben den stark spannungshaltigen Kompositionen gibt es aber auch – ähnlich wie bei den Farbideen – ruhige Bildarchitekturen, wie beispielsweise in der Arbeit mit den vier Akten aus 1997 zu sehen.

Hier wird das Strukturprinzip der ornamentalen Reihung nur durch den etwas schräg versetzten Frauenakt an der rechten Seite ein wenig dynamisiert.

 
Neben den beiden Kompositionsschemata, von denen es natürlich viele Abwandlungen in der Ausstellung gibt, sei noch eine weitere Methode des Bildaufbaus erwähnt, welche die Künstlerin gerne einsetzt: die Mittenbetonung.

ohne Titel  - 1995 - Acryl auf Pappe 70 x 100Dies ist gut in einem Bild aus 1995 zu sehen, in dem eine Figur so stark durch Brushstrokes „verunstaltet“ wird, daß sie endlich zum beinahe abstrakten Zeichen mutiert. Hier bilden Schwärzen, kräftige Konturen und Farbakzente einen zentral gelagerten Kompositions-schwerpunkt, der aber auch durch Farbrapporte und Verzahnungen das Homogene im Inhomogenen einlagert.
 

    

Wenden wir uns nun zum Schluß zwei augenfällig wichtigen Aspekten in der Malerei von Marlene Dammers zu, dem Prinzip der Wiedergabe von Gegenständlichem und dem Zeichenmodus. Das Charakteristikum ist hier, von wenigen und dann auch noch meist frühen Arbeiten einmal abgesehen, die grobe Stilisierung, die das Formgerüst, oft gestützt auf Farbkontraste und breite Pinselstrichkonturen, deutlich zu Tage treten lassen. Durch einen Prozeß, in dessen Verlauf sich das Interesse vom Abbildhaften weg hin zum Wichtigernehmen kraftvoll-expressiver Malweise verschiebt – zum Ende hin wird dieses Verlangen sogar übermäßig – tritt dieses Gestaltungsprinzip immer klarer in den Vordergrund.

In dem Männerportrait von 1989 wird der fleckige Farbauftrag, die Pinselschrift, noch sehr der anatomischen Genauigkeit untergeordnet. Das, was später einmal ganz wichtig wird, daß nämlich das „wie gemalt“ viel mehr betont wird als anekdotische Trefflichkeit, ist hier erst ganz verhalten-ansatzweise zu sehen.

Motorrad  - 1995 - Acryl auf Pappe, 67 x 49Schon ganz anders bei „Motorrad“ aus 1995, einem meiner Lieblingsbilder in dieser Werkschau. Hier tritt der kraftvolle und energisch vorgetragene Pinselduktus, das Handschriftlich-Subjektive, beinahe gleichberechtigt neben die Indienstnahme der Zeichnung durch den Gegenstand. Dieser Vorgang des sukzessiv Autonomer-Werdens von „Handschrift“, freilich nicht in zeitlogischen Abläufen, läßt sich schon an der kleinen Landschaftsstudie mit hellem Haus hinter Bäumen und dem danebenhängenden Blumenstilleben ablesen.

Und dann, für mich beinahe unabwendbar, wenn natürlich auch eine ganz entgegengesetzte Entwicklung – zurück zum Akademismus – theoretisch möglich gewesen wäre, da wir bei aufmerksamem Rundgang solche Bemühungen – siehe Schädel aus 1996! – immer wieder sehen können, überlagert bei den im Sommer 1998 in Trier entstandenen Arbeiten die subjektiv-wilde Pinselschrift das objektiv Wahrgenommene. Konnten wir bei „Motorrad“ noch von einer gelungenen Synthese aus objektiver Sicht und subjektiver Schilderungsweise reden, beginnt hier nun eine Schaffensphase, in der das Gegenständliche mehr und mehr „verwischt“ wird und eigentlich nur noch ferner Ausgangspunkt für eine abstrakte Bildidee ist.
Furios, aber beileibe nicht unstrukturiert, überlagert nun der kräftig-nervöse Duktus, das „Innenbild“, welches aus psychischer Erregung und Vorstellung aufsteigt, den gegenständlichen Vorwurf.

4 m²  - 1998 - Mischtechnik auf Leinwand 200 x 200Im fast vier Quadratmeter großen grau-schwarzen Bild aus 1998 verdrängt emotionsbeladene Gestik, auf achrome schwarze und graue Flächen geschrieben Pinselschläge, jeden „Dialogpartner“ aus dem Bereich optischer Wahrnehmung. Und wie im Traum – die meisten Menschen träumen schwarzweiß! – wie in Traumbildern, die aus tiefen Schichten unseres Unterbewußtseins aufsteigen, schlagen sich hier nervöse Spannungen, psychomotorische Energien und Formphantasien aus der Innenwelt von Marlene Dammers auf der Bildfläche zeichenhaft nieder. Körper, Arm, Pinsel und Leinwand als Seismograph.

Düsseldorf, den 11.9.1998
Wolfgang L’Hoest