Vortrag Manfred A. Jülicher 2003

Ausstellungseröffnung 16.11.2003
in der Galerie HKV, Niederkrüchten – Elmpt

Meine Damen und Herren!

Marlene Dammers studierte in Aachen mit dem Hauptfach Kunst bei Mataré, Werth und Bandau. Seit 1979 beteiligte sie sich an zahlreichen Gruppenausstellungen, und sie zeigt seit 1990 ihre Bilder regelmäßig auch in Einzelausstellungen. Bereits im März 2001 haben wir hier in der Galerie HKV Bilder der in Mönchengladbach ansässigen Künstlerin ausgestellt und es ist für uns interessant, wie sich ihre künstlerischen Aussagen seitdem weiter entwickelt haben.
In dieser Ausstellung zeigt die Künstlerin drei Bilder mit dem Titel: >In Bewegung<, denen sich weitere >Aktzeichnungen< anschließen. Mit diesen Darstellungen möchten wir die kontinuierliche Entwicklung der künstlerischen Arbeit Marlene Dammers von 2001 bis hin zu den in den letzten Monaten entstandenen Arbeiten dokumentieren.

Sowohl bei den Bildern: >In Bewegung< als auch bei den >Aktdarstellungen< liebt die Künstlerin in ihrer Malweise auf Gestik aufgebautes impulsives Arbeiten. So steigert sich die Künstlerin teilweise in einen Bewegungsrausch, in dem grafische Schriftspuren ebenso in die Bilder einfließen wie malerische Elemente, die die Künstlerin bildnerisch in rhythmische Bewegungsabläufe umsetzt und in Einklang bringt.

Diese seit 2001, zumindest von der Thematik her, bekannten Bilder zeigen Spontaneität und unerwartete Intuition, auch noch während des Malprozesses. Allein die Formate der Bilder: >In Bewegung< zeigen gegenüber den hier ausgestellten >Aktdarstellungen< im relativ kleinen Format 30 x 30, wie die Künstlerin ihre neuen Bilder gegenüber den älteren Aussagen gewichtet.

Spätestens seit 1999 entdeckte die Künstlerin beim Aktzeichnen die Spannungskraft der Bewegungsabläufe ihrer Modelle noch während der Aktsitzungen. Das heißt: Die Künstlerin malte in der Folge nicht mehr die Modelle als solche, sondern ihre Bewegungen. Die hier ausgestellten kleineren, in jeder Hinsicht dezent dargestellten >Akte<, in Kohle und Kreide auf tonigem Grund gemalt, sind in ihrer Bewegung geprägt vom Rhythmus und den Bewegungsabläufen, die sich dann in sich verselbstständigen.

Während sich Marlene Dammers bei all ihrer künstlerischen Tätigkeit dem Aktzeichnen stets als eine der Grundvoraussetzungen für ihre schöpferische Tätigkeit widmete, zeigt sie in dieser Ausstellung völlig neue Bilder mit dem Titel >Spurensuche Schloss Rheydt<, >Spurensuche Trier< und eine Rauminstallation: > …ist unantastbar<; jeweils Arbeiten, die in den letzten Monaten entstanden sind.
Thematisch gliedert sich die Ausstellung in den >Aktdarstellungen< und den Bildern: >In Bewegung< im Parterre und den Eindrücken der verschiedenen Spuren um Schloss Rheydt und dem Busental in der Nähe von Trier, die die Künstlerin als Grundlage für ihre schöpferische Tätigkeit benutzte.

Dazwischen korrespondieren die beiden Bilder im Treppenaufgang mit dem Titel: >Großer Vogel< und >Frau mit Vogel<, beides Mischtechniken auf Leinwand. Es handelt sich um klar gegliederte Kompositionen mit der für Marlene Dammers in jeder Hinsicht typischen Handschrift. Auffallend auch die Vorliebe für aggressive Farben als Ausdruck der Vitalität, Kraft und schöpferischen Energie.

007>Spurensuche<! Was heißt das?

Die Künstlerin hat sich in die Nähe von Schloss Rheydt begeben und geht mit offenen Augen durch die Landschaft. Sie sucht eben Spuren, die auf das Schloss hinweisen, die um das Schloss herum in der Landschaft auftauchen, und die für die Künstlerin sowohl einen historischen als auch naturkundlichen Bezug herstellen. Marlene Dammers sammelt Eindrücke der verschiedensten Art, sammelt Fundstücke, macht Fotos, Detailaufnahmen.
   
Die so entdeckten >Spuren<, wie zum Beispiel ein Pfau, Seerosen auf dem Schlossweiher, Zweige unter dem Eis, der Burggraben oder die Enten darauf, bringen die Künstlerin formal und künstlerisch auf ganz neue Ideen.

Alle vorgefundenen Relikte und Eindrücke, die Marlene Dammers in ihren Bildern schöpferisch gestaltet und künstlerisch darstellt, haben einen Bezug zu Schloss Rheydt. Dabei stehen die Natureindrücke in den Bildern stets im Mittelpunkt der Kompositionen. Auf ihren Leinwänden, Pappen und teilweise großformatigen Papierbildern thematisiert die 1950 in Düren geborene Künstlerin Erinnerungsfragmente an Schloss Rheydt und bedient sich dabei einer kraftvollen Malerei, deren Spuren gleichzeitig auch den typischen Arbeitsprozess und die jeweilige Stimmung der Künstlerin erkennen lassen. Dabei erscheinen die Bilder einmal mehr malerisch, einmal mehr grafisch. Vielfach sind es auch Mischtechniken, die sich einfach aus den Vorgaben der vorhandenen Spuren um Schloss Rheydt so ergeben. Marlene Dammers nimmt zwar die vorgefundenen Spuren um Schloss Rheydt als Ausgangspunkt für ihre Malerei, jedoch trennt sie sich häufig noch während des Arbeitsprozesses wieder von den Ausgangsformen, wobei sich diese auf dem Weg vom Figürlichen zum Abstrakten schließlich nur noch erahnen lassen. An ihre Stelle treten neue abstrakte Formen, Linien und Strukturen, gestisch großzügig und souverän aufgetragene Farbflecke und -flächen, die letztlich die gesamte Malerei der Künstlerin kennzeichnen. Typisch dabei auch, wie sich die Künstlerin von der äußeren Form der Spuren löst und sozusagen in das Innere der Motive vorstößt, um neue abstrakte Formen zu kreieren. Immer wieder überdeckt sie die Bildflächen neu, reduziert Farbe, Flächen und Formen und findet so zu einer überzeugenden Art, sich künstlerisch im Bild mitzuteilen.

Im letzten Raum im oberen Geschoss zeigt Marlene Dammers Bilder mit dem Titel: >Spurensuche Trier<, die nach dem gleichen Prinzip wie die >Spurensuche Schloss Rheydt< entstanden sind. Geändert hat sie dabei den Kompositionsaufbau. Um den Naturformen, die sich aus der Spurensuche ergaben, einen strengeren Kompositionsaufbau zu geben, strukturierte sie die dargestellten Themen mit breiten senkrecht zum Bild verlaufenden Streifen und bezog diese in die Gesamtheit ihrer Kompositionen ein.
    
021cStändige Übermalungen legen Farbmassen frei ohne die Untergrundformen ganz aufzulöschen. So ergeben sich mit diesen Kompositionselementen und teilweise ungewollten Überschneidungen interessante Tiefenwirkungen, die gleichermaßen das ganze Bild zwangsweise mitgestalten. Dabei ist das Motiv auch Anlass für den Bildaufbau und vorrangig Mittel zur formalen Auseinandersetzung.

Diese Art der Darstellung ist ein Raumbild, suggeriert aber niemals mit perspektivischen Linien Tiefe und Nähe als Räumlichkeit. Bei diesen Ende 2002 entstandenen Bildern ist der direkte Bezug zum Busental bei Trier weder durch kultürliche noch durch natürliche Verbindung zu den hier vorgefundenen Spuren beabsichtigt.
 

Es entsteht der Eindruck, auch auf Grund der Vielzahl der kleinen quadratischen Formate auf der Fensterbank und in einer Holzlade, als habe die Künstlerin mit ihrer >Spurensuche Trier< die Ergebnisse direkt auf quadratische Holzplatten fixiert und als solche gesammelt hier ausgestellt, wobei vielfach die mit Spuren behafteten Platten in Gruppen zusammengestellt sind und sowohl inhaltlich wie auch formal miteinander korrespondieren. Besonders hervorzuheben ist eine von der Künstlerin überdimensionierte Kastanie aus der >Spurensuche Trier< im Format 100 x 90, die Marlene Dammers einmal mehr auch als brillante Zeichnerin ausweist.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Gedanken zu der Rauminstallation: > … ist unantastbar< (>>im vorderen Raum des Parterre) vortragen, vielleicht auch ein Beitrag zum heutigen Volkstrauertag.
Im weitesten Sinne handelt es sich auch hier meines Erachtens um eine Spurensuche.

… ist unantastbar. Ja, meine Damen und Herren! Was ist denn hier unantastbar. Die Väter unseres Grundgesetzes haben das deutlich erklärt, was denn da unantastbar ist.
Und es ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.
Um die Bedeutung dieses für die Menschheit wichtigsten Grundrechtes zu unterstreichen, haben die Väter unseres Grundgesetzes diesen Paragraphen als den ersten vor alle anderen Grundrechte gestellt. Um so mehr muss es sensibel reagierende Menschen wie Literaten, Musiker und bildende Künstler treffen, wenn gerade dieses Grundrecht permanent verletzt und gegen diese Verletzungen nur im Rahmen bestehender Strafgesetze geahndet werden kann; Gesetze, die seit Jahrzehnten nicht ausreichen, die Würde aller Menschen zu achten, was dann immer wieder zu sozial kritischen Aussagen auch im Bereich der bildenden Kunst führt.

Marlene Dammers ist immer auf der Suche nach Spuren, Spuren in Illustrierten, Zeitungen und anderen Medien, die sie in ihre künstlerische Tätigkeit einbezieht. Zu bestimmten Tagesereignissen sammelt sie Bilder aus den Medien, stellt sie zu Themen zusammen und verarbeitet solche Tagesereignisse, die leider immer wieder passieren und Tag für Tag von den Medien angeklagt werden, auf ihre Art in dieser Ausstellung mit der >Rauminstallation: … ist unantastbar<, um die Öffentlichkeit auch von ihrer Seite her mit den Grundgesetzverfehlungen und dem Unrecht in der Welt zu konfrontieren. Dabei thematisiert sie Bildserien über die BSE Seuche und den Rinderwahn, über Kindermorde und die in Teilen der Welt immer noch übliche Todesstrafe, Themen, die sie quasi aufgefordert haben, sich bildnerisch damit auseinanderzusetzen. Dabei sind die Abbildungen über die Todesstrafe, in Kreuzform zusammengestellt, in der Waagerechten fast unbearbeitete Ausschnitte aus einer Serie der Zeitschrift Stern. In der Senkrechten hat die Künstlerin Texte zum Thema formal verändert, vergrößert oder auch ausschnittweise dargestellt, um den Betrachter zum Nachdenken zu bewegen.

Leider ist dieser wie eine Kultsituation wirkende Raum sehr begrenzt betretbar, so dass immer nur wenige Galeriegäste nach meiner Rede einer musikalischen Untermalung beiwohnen können, die hier mit einer von Tobias Dammers eigens für diese Rauminstallation komponierten Klangkomposition stattfinden wird. Tobias Dammers, Sohn der Künstlerin, hat sein Musikstudium beendet und zu dieser Thematik in Verbindung mit den bildnerischen Darstellungen innerhalb dieser >Raumsituation …ist unverletzbar< Klangelemente komponiert, deren Klangschleifen sich letztendlich überlagern und endlos weiterlaufen.