Vortrag Sigrid Blomen-Radermacher

Ausstellungseröffnung 17. März 2002
Sandbauernhof Liedberg, Korschenbroich

Marlene Dammers malt seit mehr als 30 Jahren. In diesen vielen Jahren haben sie und ihre künstlerische Sprache sich verändert, haben sie und ihre künstlerische Sprache sich weiter entwickelt, hat sie neue Wege gesucht und sich auf neue Wege begeben. Als ich sie übrigens fragte, warum sie male, antwortete sie mir: „Weil ich muss. Ich kann nicht mehr aufhören.“ Angefangen mit Akten, Landschaften und Stillleben in klassischer Weise, figurativ und wiedererkennbar, ist Marlene Dammers künstlerische Ausdrucksweise im Laufe der Jahre immer abstrakter, freier, dynamischer und expressiver geworden. Die Malerin suchte und fand, wie sie es nannte, mutige Lösungen für bildliche Problemstellungen, sie fand den Mut, Dinge zu tun, die „man“ nicht tut.

Mutige Lösungen finden, willkürlich festgelegte Regeln brechen, den Mut finden, Dinge zu tun, die „man“ nicht tut, die aber durchaus praktikable Wege weisen, die auf neue Spuren führen, neue Erkenntnisse und Wahrnehmungen anbieten mögen, was für ein wundervoller Ausgangspunkt nicht nur für die Malerei. Kein Zufall scheint zu sein, dass Marlene Dammers die Expressionisten als die Künstler bezeichnet, die ihr nahe stehen. War es doch eben diese junge Generation, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Regeln ihrer Altvorderen Kollegen auf den Kopf stellten und in – für die damalige Zeit – provokanten Motivwelten und Stilmitteln neue Möglichkeiten der Sicht auf die Dinge eröffneten.

Wenn denn die Kunst Werte für den Betrachter besitzt, die über die ästhetische Wahrnehmung hinausgehen – und daran glaube ich immer noch fest – dann doch diese: sehen zu lehren, Gedanken und Ideen anstoßen, die über die Bildwelten hinaus gehen und Mut machen, diese Eingang finden zu lassen in den eigenen Alltag.

Es sind neue Bilder aus diesem und dem letzten Jahr, die Marlene Dammers ab heute hier im Sandbauernhof vorstellt. Immer noch steht der Mensch im Mittelpunkt nahezu all ihrer Arbeiten. Er reizt sie, weil er immer wieder neu und anders erscheint, lebendig und wandelbar ist. Während des künstlerischen Prozesses der Bildfindung und -gestaltung entwickeln sich in einem Malakt, der – wie sie sagt – „vom Auge in die Hand“ geht, also ein ganz unmittelbarer, von Ratio und Gedanken ungetrübter, Prozess ist, Dialoge: zum einen der zwischen dem zu malenden Menschen (von Porträt zu sprechen würde in diesem Zusammenhang falsche Erwartungen wecken) und der Malerin, zum anderen zwischen dem Modell und dem „Abbild“ auf der Leinwand. Diese stumme Dialoge treiben den Malakt voran. Marlene Dammers reagiert sowohl auf das reale Modell wie auf die Malerei, geht auf das entstehende Bild ein und lässt sich von ihm weitertreiben. Ihren eigenen Körper empfindet sie wie ein Instrument, das ihr auf dem Weg zum Bild dienlich ist. Malen ist damit immer auch eine sinnliche Erfahrung.

Doch der Mensch, der den Ausgangspunkt für ihre Malerei bildet, verschwindet zusehends in ihren Bildern, wird übermalt und damit nahezu ausgelöscht, wird abstrahiert. Hier und da sind noch Körperteile zu entdecken, erinnern Farbflächen an Körperformen. Farbstreifen, Farbflecken legen sich über die Körper, lineare Strukturen betonen neue Wertigkeiten. Hier experimentiert Marlene Dammers eben auch fern jeder Regeln von Darstellung, Perspektive, Form und Farbe. Sie entzieht ihrer Malerei die Farben, reduziert sie auf Weiß und Schwarz, malt grafisch, zeichnet malerisch, fügt an Schrift erinnernde Strukturen ein.

Ihren Arbeiten gibt Marlene Dammers keine Titel. Diese würden ihrer Auffassung nach den Betrachter zu sehr einschränken. Die Malerin bevorzugt die offenen Assoziationen, wobei sie einkalkuliert, dass die Gedankenverbindungen der Betrachter sich von den eigenen Ideen zur Bildwelt deutlich entfernen.

Vom Mut, neue künstlerische Lösungen zu finden bis hin zum Mut, in gesellschaftspolitischen und sozialen Fragestellungen einen neuen Weg zu finden, hier wie dort kreative Ansätze zu entwickeln und zu realisieren, ist sicher ein weiter und vielleicht allzu optimistischer Weg. Doch wünsche ich Ihnen und mir den Mut, angespornt und ermutigt von den kreativen Lösungen der Künstlerin und aller Künstler, immer wieder neue, kreative, individuelle Wege anzudenken.
Sigrid Blomen-Radermacher